Bitte Abstand halten! Von offenen Oberflächen

„Bitte Abstand halten!“ wird im post-Covid-Kontext gern mit einer Reduktion der Ansteckungswahrscheinlichkeit assoziiert, doch darum geht es in diesem Beitrag tatsächlich nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, ob offene, unverglaste und somit ungeschützte Oberflächen bei der Präsentation von Kunstwerken tatsächlich eine gute Idee sind.

Aus konservatorischer Sicht ist dieses klar zu verneinen, doch gehört diese puristische Präsentationsweise oftmals zu einer künstlerisch intendierten Ästhetik und ist somit streng genommen Teil des Kunstwerkes selbst. Doch was ist dabei eigentlich genau das Problem? Stellen wir uns zum Beispiel eine hochglänzende, unverglaste fotografische Oberfläche eines Silberfarbstoffbleichabzuges (z.B. Ciba-/Ilfochrome) vor, die eine nahezu spiegelnde Ästhetik aufweist. Diese wird unverglast und ungerahmt direkt auf die Wand montiert. Ein Abstand von etwa mindestens 80cm, besser 1m, sollte beim Betrachten der Werke eingehalten werden, denn Besucher*innen unterhalten sich gern vor den Objekten, was unbewusst z.B. zu Speicheltröpfchen auf den Arbeiten führen kann. Darüber hinaus kann es vorkommen, dass gerade in der Herbst- und Wintersaison vor den Werken geniest und gehustet wird, was sich nicht vermeiden lässt. Nicht selten ist dies am Ende einer Ausstellung den derartig präsentierten Werken anzusehen. Die zuoberst liegende Schicht vieler fotografischer Materialitäten quillt bei Feuchtigkeitseintrag und die Tröpfchen hinterlassen auch später noch in Form von Oberflächenveränderungen sichtbare, nicht mehr reversible Punkte bzw. Flecken auf den Arbeiten. Besonders auffällig ist dies bei monochromen Farbflächen. Nicht selten sind derartige Besucher*innen-Spuren bei gerahmten Werken auf Verglasungen nach einer Ausstellung zu Hauf zu bewundern, hier jedoch zu entfernen und somit reversibel.

Doch was ist zum Schutz der Werke überhaupt möglich? Schließlich ist der Zweck eines Museums die einzigartigen Werke der Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und daher sollte diese nicht per se als Risiko für die Werke gesehen werden. In den meisten Ausstellungshäusern ist Aufsichtspersonal anwesend, so dass dieses die Besucher*innen freundlich, aber bestimmt auf die notwendigen Abstände vor den Werken hinweisen kann. Doch ist zum Beispiel eine Schulklasse anwesend oder sehr viel Publikum, kann eine Aufsicht in einem Bereich unmöglich alle Personen gleichzeitig im Blick haben. Eine weitere Option ist mit Hinweisen auf den einzuhaltenden Abstand zu arbeiten. Dies kann ein Klebestreifen auf dem Boden vor den präsentierten Werken sein, ein Hinweisschild in schriftlicher Form oder sogar eine mechanische Abgrenzung, wie zum Beispiel eine Bodenplatte oder eine Absperrung. Darüber hinaus gibt es zudem akustische Warnsysteme, die einen Signalton verlauten lassen, sobald der Abstand unterschritten wird. Alle diese Schutzmaßnahmen greifen mehr oder weniger stark in die Präsentationsweise und –ästhetik von Ausstellungen ein. Aus diesem Grund sollten diese immer mit den Kuratierenden oder gar den Kunstschaffenden selbst abgestimmt werden. Darüber hinaus können manche „Abstandshalter“ wie die Bodenplatte oder gar eine Absperrung leicht übersehen werden, da sie nicht in Höhe des Besucherblickfeldes platziert sind. Hier besteht eine, wenn auch geringe Stolpergefahr, die häufig einen unverhältnismäßig größeren Schaden an den Werken verursachen kann. Wenn jemand geradezu in ein Werk hineinfällt, besteht zudem eine große Verletzungsgefahr für den Besuchenden. Hier gilt es immer den Nutzen der Schutzmaßnahme gegen das Risiko abzuwägen. So kann es zum Beispiel durchaus sinnvoll sein, derartige Maßnahmen nur temporär bei Großveranstaltungen zu ergreifen.

 

Kristina Blaschke-Walther

…ist leitende Restauratorin am Sprengel Museum Hannover und dankt Nina Quabeck, Leitung Restaurierung & Arthandling Kunstsammlung NRW, für den Austausch zu dieser Thematik.

 

BU: Ausstellungsansicht aus der Ausstellung „Adrian Sauer: Truth Table“, noch laufend bis zum 14.1.2024 ©Foto: K.Blaschke-Walther